Offener Brief *) an den Niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies, SPD
Sehr geehrter Herr Minister Lies,
ich bin Wolfsberater, ernannt vom Niedersächsischen Umweltministerium. Ich habe Biologie mit dem Schwerpunkt Angewandte Zoologie studiert. Ich bin Anfang der 90er Jahre in Ostpolen, im Biebrza-Nationalpark, mehrere Jahre hintereinander zu Gast gewesen, um dort an Watvogelzählungen teilzunehmen. Dort hatte ich meine ersten Begegnungen mit freilebenden Wölfen. Seitdem lässt mich diese Tierart nicht mehr los.
Ich schreibe Ihnen, weil ich zutiefst irritiert bin über Ihre Einlassungen zum Umgang mit Wölfen.
„Es geht um den Schutz von Mensch und Natur, den Schutz der Weidetierhalter und um den Schutz der überlebenswichtigen Deiche.“ So zu lesen z.B. im Ostfriesischer Kurier (9.3.2018). Wie bitte? Es geht Ihnen um den Schutz von Mensch und Natur? Nennen Sie mir einen Zwischenfall mit Wölfen in Niedersachsen, aber auch bundesweit, bei denen Menschen ernsthaft zu Schaden gekommen sind.
Lassen Sie sich als Ergänzung die Zahl der Opfer von Hunde- und Wildschweineangriffen heraussuchen. Sie werden staunen. Das aber interessiert niemand. Es bringt auch keine Wählerstimmen. Und was muss ich darunter verstehen, wenn es -in offenbar negativem Sinn- um den „Schutz der Natur“ geht. Es gibt nur eine Interpretation Ihrer Worte: Sie wollen die Natur vor dem Wolf schützen. Herr Minister, bei allem Respekt, ich kann mich nicht erinnern, in Zusammenhang mit dem Wolf einen größeren Blödsinn gelesen zu haben.
Minister Lies will die Natur vor dem Wolf schützen. Bild: Stefan Suittenpointner
Sie fordern eine „Obergrenze für Wölfe“? Wo liegt diese Obergrenze? Nennen Sie Zahlen, wenn Sie derartiges fordern! Und vor allem: begründen Sie diese Zahlen! Sie sagen: „Wenn feststeht, dass die Population groß genug und der Erhaltungszustand gut ist, dann haben wir auch Möglichkeiten des Wolfsmanagements.“ Herr Minister, wir haben so etwas bereits! Es gibt einen Managementplan für unser Bundesland. Herausgegeben vom Niedersächsischen Umweltministerium. Er heißt Niedersächsisches Wolfskonzept.
Dann lese ich: „Wölfe haben in Dörfern nichts zu suchen.“ Doch, haben sie. Lesen Sie den besagten Managementplan für Niedersachsen. Dort finden Sie die Tabelle 3. Lesen Sie selbst. Ich will hier nicht alles einzeln zitieren.
„Die Wolfspopulation entwickelt sich viel dynamischer als gedacht.“ Tut sie das? Wie kommen Sie zu dieser Bewertung? Nach allen Zahlen die mir aus den Monitoringberichten vorliegen, wächst die mitteleuropäische Flachlandpopulation momentan um den Faktor von etwa 1,3 pro Jahr. Dies seit mehreren Jahren. Was ist daran „viel dynamischer als erwartet“? Was wollen Sie mit einer derartig wertenden Aussage bewirken?
Wölfe unterliegen sehr wohl „natürlichen Feinden“ – ich nenne nur Parasiten, Staupe, Räude. Die Bestände werden durch den Straßenverkehr gezehntelt, Jährlinge auf Wanderschaft werden von territorialen Wölfen getötet. Ich kann Sie beruhigen: die Wolfspopulation wird nicht ins Astronomische wachsen.
Ich interpretiere Ihre Worte dahingehend, dass Sie fest entschlossen sind, so schnell wie möglich das Feuer auf den Wolf freizugeben, denn Sie streben ja bekanntermaßen auch die Übernahme des Wolfs ins Jagdrecht an. Ich bin gespannt zu hören, wie Sie diese Gesetzesinitiative begründen werden und wie dies in der Öffentlichkeit aufgenommen und kommentiert werden wird.
Wolfslosung - Bild: Stefan Suittenpointner
Herr Minister, der Publizist und Jäger Eckhard Fuhr hat den etwas zugespitzten Satz in einem Artikel der „Welt“ geschrieben: „In Bezug auf die Wölfe hat das postfaktische Zeitalter schon im Mittelalter angefangen.“ Ich hielt das lange für ein wenig übertrieben, habe gehofft, dass mit der Perzeption von Fakten zumindest auf Seiten aufgeschlossener Politiker eine weitgehend sachliche Auseinandersetzung mit den zweifellos vorhandenen Problemen stattfinden kann. Weit gefehlt. Mittlerweile kann ich Eckhard Fuhr nur zustimmen. Ihre öffentlichen Äußerungen sind der beste Beweis für die Richtigkeit seiner These.
Auf der letzten Fortbildung für Wolfsberater bei der NNA in Schneverdingen forderte Ihr Mitarbeiter Konstantin Knorr uns -wie ich persönlich finde nicht ganz unberechtigt- auf, wir mögen doch bitte die fachlichen Grundlagen, die das Land Niedersachsen vertritt, auch nach außen vertreten. Meine abschließende Frage: Gilt das nicht auch für den zuständigen Fachminister? Ich werde mich jedenfalls nicht davon abhalten lassen, auch weiterhin Fakten zu vermitteln statt subtile Ängste zu bedienen und Emotionen zu schüren.
Mit freundlichen Grüßen, Eberhard Giese - Wolfsberater Landkreis Aurich
*) leicht gekürzt, hier ist die vollständige Version
Lesen Sie auch: Offener Brief an Minister Backhaus, Mecklenburg-Vorpommern