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Lovis Kauertz

Die Absurdität der Waidgerechtigkeit: Jagd als rechtsfreier Raum

Zweck des Tierschutzgesetzes ist es (§ 1 Grundsatz), aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen: „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“

Der Grundsatz des deutschen Tierschutzes ist eigentlich eine Farce und das Papier kaum wert, auf dem es steht. Wenn immer wirtschaftliche oder auch nur vermeintliche wirtschaftliche oder politische Gründe dem Schutz des Tieres entgegenstehen, werden – häufig auch willkürliche – Ausnahmen geschaffen. Selbst die Verankerung des Tierschutzes im Grundgesetz nutzt den Tieren wenig, wenn Eigentumsrecht oder die Forschungsfreiheit damit konkurrieren. Der Tierschutz zieht meist den Kürzeren.

So ist es auch im Bereich der Jagd. Damit die Jagd im Rahmen des Tierschutzgesetzes überhaupt möglich ist, musste der Gesetzgeber dafür einen „vernünftigen Grund“ finden. Der lautet „Waidgerechtigkeit“. Damit ist es möglich, Tiere ohne Betäubung im Rahmen „waidgerechter Ausübung der Jagd“ zu töten.

Ist das waidgerechte Jagd?

Waidgerecht: Die Jagdethik des Deutschen Jagdverbands. Bild: B.u.S. Pelli

Der Begriff der Waidgerechtigkeit definiert sich dabei im Wesentlichen „… als die Summe der rechtlich bedeutsamen, allgemein anerkannten, geschriebenen oder ungeschriebenen Regeln (...), die bei der Ausübung der Jagd als weidmännische Pflichten zu beachten sind.“ (1) Eine rechtlich verbindliche Definition dazu gibt es allerdings nicht, was einen erheblichen, mitunter willkürlichen Interpretationsspielraum ermöglicht.

In seinem Grundsatzpapier zur Waidgerechtigkeit aus dem Jahr 2000 (1) erklärt der Deutsche Jagdverband (DJV), dass die ungeschriebenen Regeln der Waidgerechtigkeit dabei den Bereich abdecken, in dem ein jägerisches Verhalten nach allgemein anerkannter Ansicht jagdethisch abzulehnen ist. Im Folgenden heißt es dann: „Jedenfalls ist keineswegs alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten ist. Vielmehr fordern die Grundsätze der Waidgerechtigkeit eine Selbstbeschränkung des Jägers.“ Damit liebe Leserinnen und Leser, ist es allerdings nicht weit her.

Der Deutsche Jagdverband hat vermutlich eine andere Vorstellung von Ethik als Sie und ich sie haben. Deshalb spricht die größte Lobbyorganisation der Jäger in dem oben zitierten Pamphlet zur Waidgerechtigkeit auch nicht von Ethik, sondern von „Jagdethik“. Im Rahmen der Jagdethik des Deutschen Jagdverbands ist es wohl so, dass nicht zu beanstanden ist,

  • … wenn Jäger Füchse an ihrem einzigen Rückzugsort während der Aufzucht der Welpen aufsuchen, um die ganze Fuchsfamilien dort im Rahmen der Baujagd mit Hunden brutal zu töten oder Fuchswelpen in Fallen zu fangen, um sie totzuschlagen oder zu erschießen.

  • … wenn einzelne Hunde Rehe reißen oder Hundemeuten Familienverbände von Wildschweinen sprengen und Frischlinge abwürgen.

  • … wenn Millionen von Tieren „erlegt“ werden, um anschließend als „Luder“ für die Fuchsjagd zu enden, in die Hecke geworfen zu werden (viele Jäger machen sich nicht einmal mehr die Mühe, ein Tier zu vergraben) oder auf dem Hänger in die Tierkörperbeseitigung gekarrt zu werden.

  • … wenn durch die Jagd nicht einmal eine nachhaltige Bestandsreduzierung erreicht wird und die natürlichen Regulierungsmechanismen der Tiere außer Kraft gesetzt werden.

  • … wenn Freizeitjäger aus JottWeDe dafür bezahlen, in einem ihnen völlig unbekannten Revier, beliebig Tiere abzuknallen.

  • … wenn allein aus vermeintlich wirtschaftlichen Erwägungen oder gar aus Gründen der Landeskultur Schonzeiten mehr oder weniger willkürlich aufgehoben werden.

  • … wenn im Rahmen von Drückjagden ein Großteil der Tiere in den Rücken, den Bauch, die Läufe geschossen wird, weil Jägern entweder die Schießpraxis fehlt oder die Ruhe und Geduld für den perfekten Schuss oder beides.

  • … wenn Rehe oder Hirsche dort gestreckt werden, wo sie eigentlich ihre Äsung finden.

  • … wenn Waldtiere einem ganzjährigen Jagddruck unterliegen.

  • … wenn Rehe, Wildschweine oder Hirsche sogar im Rahmen von Gesellschaftsjagden selbst dann noch gejagt werden, wenn sie im Energie-Sparmodus sind, um die karge Winterzeit mit geringem Nahrungsangebot zu überstehen.

  • … wenn Wildtieren im überjagten deutschen Reviersystem so gut wie keine störungsfreien Rückzugsmöglichkeiten gewährt werden.

  • … wenn auch hochträchtige Wildtiere getötet werden.

  • ... wenn Jahr für Jahr Hunderttausende von Füchsen, Waschbären, Mardern, Marderhunden und Dachsen unter irgendeinem irrationalen Vorwand getötet werden.

  • … wenn Jäger mit halbautomatischen Waffen, mit Infrarot- oder Wärmebildtechnik hochgerüstet in den Krieg gegen Tiere ziehen.

Hundemeute bei der Jagd

Im Namen der Waidgerechtigkeit wird es hingenommen, dass Jagdhundemeuten Wildtiere reißen und Massaker unter Wildschwein-Frischlingen anrichten. Bild: privat

In einem offenen Brief vom 11. Januar 2020 an den scheidenden Präsidenten des Landesjagdverbandes NRW, Ralph Müller-Schallenberg, beklagt der ehemalige Berufsjäger und Wildmeister a.D., Dieter Bertram, dass zu keinem Zeitpunkt soviel über die Waidgerechtigkeit gesprochen worden ist und zu keinem Zeitpunkt so massiv gegen den Tierschutz verstoßen wird, wie heute: „Man glaubt oft, in einem rechtsfreien Raum zu leben.“

Auch das ist die Realität der Jagd heute:

  • Rehe, auch Gämse (in Bayern) und Rothirsche, werden in den Wäldern vieler Bundesländer, aber auch in etlichen privaten Wäldern, nicht mehr gejagt, sie werden als Waldschädlinge regelrecht abgeschlachtet. Schlagzeilen in diesem Sinne machten in der letzten Zeit die Bayerischen Staatsforsten. (3) Dort handelt man nach der – auch von dem ein oder anderen Dozenten an der Forsthochschule Weihenstephan bei München gelehrten – Devise „Nur ein totes Reh ist ein gutes Reh“. Seit über 50 Jahren steigt die Zahl der jährlich getöteten Rehe, ohne dass das auch nur ansatzweise die gewünschte Auswirkung auf den Wald hat. In der Praxis vieler Waldbesitzer bedeutet das: Noch mehr Rehe abschießen.

  • Bleiben wir in Bayern: Hier ist selbst das Töten von zur Aufzucht notwendigen Elterntieren erlaubt, zum Beispiel von Waschbären, Marderhunden oder von Kaninchen. Die Jungtiere werden – legal – dem Hungertod überlassen. Das zuständige Ministerium beruft sich u.a. auf die „schwere Schädigung der Landeskultur“ – gegen diese Willkür könnte man wahrscheinlich nur mit einer Normenkontrollklage angehen. Die darf aber wohl nur eine im Landtag vertretene Partei einreichen. Fällt Ihnen, verehrte Leserin, verehrter Leser, da eine Partei in München ein?

  • Was ist waidgerecht an der Tötung eines für die Aufzucht von Fuchswelpen notwendigen Fuchsrüden? Obwohl der Fuchsrüde unzweifelhaft – auch in der Jagdausbildung – als Hauptversorger der jungen Fuchsfamilie als für die Aufzucht notwendiges Elterntier betrachtet wird, wird ihm zunächst während der Paarungs-, dann während der Setzzeit regelmäßig landauf, landab nachgestellt. Trotz der Jagdgesetzgebung, die eigentlich eine Schonung von Elterntieren von der Geburt der Jungtiere bis zu deren Selbständigkeit vorsieht. Die Selbständigkeit betrachten nicht wenige Jäger in Bundesländern, in denen es keine Schonzeit für Füchse gibt, bereits ab Mitte Juni gegeben. Dann sind die Ende April, Anfang Mai geborenen Füchse gerade mal sechs Wochen alt und verlieren ihre Eltern.

  • Die Regierung des in nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Laschet (CDU) plant bei einem möglichen Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest auch die Muttersauen, die noch Frischlinge säugen, für den Abschuss – sogar mit nicht sofort tötender Schrotmunition – freizugeben. Der Bundesverband Deutscher Berufsjäger führt dazu aus: „Der Wald ist kein rechtsfreier Raum und Wildtiere empfinden ebenso Schmerz und Leid wie Haustiere“, und fordert die strikte Beachtung des Tierschutzes.

Wenige Tierarten werden so unwaidmännisch und ineffizient bejagt, wie Wildschweine. Bild: Detlef Hinrichs

  • Bei der Jagd auf Wildschweine gibt es schon seit langem kaum noch Tabus. Die Aufhebung sämtlicher Schonzeiten, tierquälerische Bewegungsjagden mit jeweils hoher Anzahl angeschossener Tiere, die Jagd bei Tag und Nacht, selbst mit Scheinwerfern, die Möglichkeit tierquälerische Saufänge einzusetzen, in denen ganze Wildschweinrotten gefangen und zusammengeschossen werden, all‘ das hat hinsichtlich der Zielsetzung, die Zahl der Wildschweine zu reduzieren oder Wildschäden zu vermeiden in den letzten beiden Jahrzehnten zu überhaupt nichts geführt – außer zu unermesslichem Tierleid.

  • Der NRW-Laschet setzt auch hier noch eines drauf: die ganzjährige Wildschweinjagd mit Hunden. Diese auf Tierquälerei hinauslaufende Jagd war bisher in NRW wenigstens noch von Mitte Januar bis Ende Juli untersagt. Wildmeister Peter Markett, Vorsitzender des Landesverbands der Berufsjäger in NRW, hält diesen Vorstoß der Landesregierung für wildbiologisch falsch, tierschutzrechtlich sehr bedenklich und jagdpraktisch für unnötig. In den Wintermonaten des neuen Jahres sind Frischlinge auf die Muttersäue angewiesen. Würden Sauen geschossen, irrten Jungtiere alleine herum. Zudem würden Hunde Massaker unter den Jungtieren anrichten.

  • Apropos Armin Laschet, Ministerpräsident NRW: Die Baujagd, eine recht brutale Jagdart, bei der raubwildscharfe Hunde in den Fuchsbau gehen, um dort mitunter ganze Fuchsfamilien während der Aufzuchtzeit aus dem Bau den wartenden Jägern vor die Flinten zu jagen, wurde durch seine Regierung nach der Abschaffung durch die Rot-Grüne Koalition wieder eingeführt. Die Juristen der Schweizer Stiftung „Tier im Recht“ haben in einem Gutachten zur Baujagd (2) festgestellt: Die Baujagd bedeutet eine Tierquälerei, deren Legalisierung (Anm.: in der Schweiz) jeglicher rechtmäßiger Grundlage entbehrt.

  • In Nordrhein-Westfalen kehrte man sich auch schon in der Vergangenheit oftmals einen Dreck um waidgerechte Jagd. So wurden Jahr für Jahr per Allgemeinverfügung die Schonzeiten von Tauben während der Brut- und Aufzuchtzeit aus Gründen der „Wildschadensabwehr“ aufgehoben. Nachdem Untersuchungen belegten, dass sich unter den Opfern etwa 80 Prozent fütternde Tauben befanden, sind die revierübergreifenden Taubenjagden der Hegeringe im Münsterland und in weiteren Regionen des Landes „nur noch“ über Einzelanträge möglich. In NRW sterben immer noch pro Jahr weit über eine Viertelmillion Wildtauben (meistens Ringeltauben) - so viele wie in keinem anderen Bundesland.

  • Zu den größten „waidgerechten“ Sauereien gehören wohl die Fuchsjagd, gefolgt von der Verbandshetze gegen Waschbären. Das Bundeslandwirtschaftsministerium wusste schon 1991, „dass die Reduzierung (Anm.: von Wildtierbeständen) in aller Regel die natürlichen innerartlichen Regulationsmechanismen außer Funktion setzt und zu einer ständigen Ankurbelung der Vermehrung führt.“ In zahlreichen Studien belegt, in vielen deutschen Nationalparks nachzuvollziehen und seit 2015 im fuchsjagdfreien Luxemburg Praxis: Die Jagd führt nicht zu einem nachhaltigen Rückgang der Fuchsbestände, ohne Jagd gibt es aber auch keine Überpopulation dieser Tierart. Auch wenn die Jagd auf Fuchs oder Waschbär oder andere Beutegreifer auf dem Papier waidgerecht sein mag – was sie oft genug nicht ist, weil viele Jäger es gerade bei diesen Tierarten damit wohl nicht so genau nehmen –, in der Praxis ist sie eine große Tierquälerei, die ausschließlich dem perversen Vergnügen einer in den Augen einer großen Öffentlichkeit gesellschaftlichen Randgruppe dient.

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Informationsquellen:

(2) s. Die Baujagd unter dem Aspekt des Tierschutz- und Jagdrechts, Stiftung für das Tier im Recht

Weitere Informationen:

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