Wiesenbrüter Teil 3: Vorrang für den Lebensraumschutz
- Dr. Martin Steverding
- vor 11 Minuten
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Die Bestände von Kiebitz, Brachvogel, Uferschnepfe, Rotschenkel und Bekassine sind bekanntlich hochgradig bedroht. Manche Beutegreifer, beispielsweise Fuchs, Steinmarder und Rabenkrähe, kommen dagegen in fast allen Landschaften gut zurecht. Die Prädationsrate bei Wiesenvögeln, also der Verlust durch Beutegreifer (=Prädatoren) kann sehr hoch sein, je nach örtlichen Gegebenheiten ist zum Teil mehr als die Hälfte der Bruten betroffen (u. a. Meyer et al. 2017). Da liegt es doch nahe, die anpassungsfähigen Prädatoren zu dezimieren, um die letzten Wiesenvögel vor dem Aussterben zu bewahren – oder?

Das auf dem ersten Blick einfache Problem entpuppt sich bei näherer Betrachtung als überaus komplex und Erfahrungen zeigen, dass scheinbar schnelle Lösungen verpuffen. Letztlich gelangen wir zur Erkenntnis, dass das Eliminieren der Beutegreifer keine Abhilfe bringt, sondern im Gegenteil das Problem sogar vergrößern kann und dazu noch drängende ethische Fragen aufwirft.
Eine Vortragsfolie bei einem Workshop zum Prädationsmanagement im Wiesenvogelschutz hätte kaum aussagekräftiger sein können: Sie zeigte rund 200 Standorte von Wieselfallen im Ochsenmoor in der niedersächsischen Dümmerniederung (Barkow 2022). Nach der lokalen Dezimierung der Füchse konnten sich die Wiesel aufgrund des Fehlens des überlegenen Konkurrenten kräftig vermehren. So ging man vom Füchse Töten zum Wiesel Töten über, wahrscheinlich zur Freude der Wanderratten, denen die Wiesenvogeleier ebenfalls schmecken… Welche Schäden der Ausfall der Mäuse- und Rattenjäger Fuchs und Wiesel für die Land- und Forstwirtschaft brachte, ist sicherlich nicht bekannt. Ebenso wenig bekannt sind die Folgen des sogenannten aktiven Prädatorenmanagement für die sensiblen Wiesenökosysteme insgesamt. Trotzdem ist dieser extreme Eingriff derzeit schwer in Mode. Der oft überaus grausame Tod empfindungsfähiger fühlender Wesen wird dabei als angeblich notwendiges Übel bewusst in Kauf genommen, aber gegenüber der Bevölkerung so gut es geht verschwiegen.
Viele Parameter beeinflussen die Prädationsrate. Langgemach & Bellebaum (2005) bezeichnen die Kleinsäugerdichte als Schlüsselfaktor. Flächen mit hohen Kleinsäugerbeständen sind für Füchse und andere Mäusejäger attraktiv und damit einem hohen Prädationsrisiko ausgesetzt. Da Wühlmäuse in nassen Flächen kaum oder keine Baue anlegen können, sind diese für Füchse wenig interessant und bergen entsprechend ein deutlich geringeres Prädationsrisiko als trockenere mäusereiche Flächen.
Wesentlichen Einfluss auf die Prädationswahrscheinlichkeit von Gelegen und Küken hat auch die Struktur und Artenvielfalt der Vegetation. Sowohl brütende Altvögel als auch Küken sind für Beutegreifer in monotonen Flächen leichter zu finden als arten- und strukturreichem Grünland. Darüber hinaus wachsen die Küken in artenreichen und damit insektenreichen Grünländern nachweislich schneller heran und entwachsen entsprechend früher dem gefährlichen Kükenalter (Salewski 2022).
Wie bereits im ersten Teil berichtet, hat auch die Bestandsdichte der Wiesenvögel selbst, insbesondere des Kiebitzes, einen hohen Einfluss auf die Prädationswahrscheinlichkeit. Gute Kiebitzbestände bilden eine sehr effiziente Luftverteidigung gegenüber verschiedenen Beutegreifern (Theunissen et al. 2020).
Es bestehen weitere Möglichkeiten, das Prädationsrisiko durch Lebensraumgestaltung zu senken, die u. a. im Standardwerk zum Thema Prädation von der niederländischen Organisation SOVON (Theunissen et al. 2020) nachzulesen sind. Es zeigt sich, dass auch das Prädationsproblem ein Problem des Lebensraumschutzes ist und mitnichten der Population von Beutegreifern. Das Töten geht am Problem vorbei, denn es verbessert den Lebensraum nicht.
Über die Lebensraumgestaltung hinaus besteht eine nicht-letale Möglichkeit zur Verminderung der Prädationsgefahr: Das Einzäunen von Brutplätzen mit Elektrozäunen. Roodbergen (2022) bezeichnet es als die effektivste Schutzmaßnahme, auch wenn sie nur die Gelegeprädation und nicht die Kükenprädation reduziert. Im LIFE-Projekt Wiesenvögel in NRW werden Schlupferfolge von bis zu 90 % für die eingezäunten Brutplätze von Wiesenbrütern angegeben (Brüning et al. 2021). Angesichts solcher Resultate stellt sich die Frage, warum im Projekt an der Dümmerniederung und für ähnliche Projekte Berufsjäger für das Töten von Beutegreifern auf Kosten der Steuerzahler eingestellt und sechsstellige Summen für Betonrohrfallen ausgegeben werden.
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Wiesenbrüter Teil 1: Kiebitze – gefiederte Luftverteidigung
Wiesenbrüter Teil 2: Prädationsmanagement mit der Waffe nicht zielführend
Quellen
Barkow, A. (2022): Prädationsmanagement in Niedersachsen. Vortrag beim Workshop „Prädation und Gelegeschutz“ am 15.11.2022 in Rees am Niederrhein.
Brüning, I., B. Beckers & S. Klostermann (2021): LIFE-Projekt zum Schutz der Wiesenvögel in Nordrhein-Westfalen. Der Falke Sonderheft 2021: Vögel im Grünland, S. 58-63.
Langgemach, T. & J. Bellebaum (2005): Prädation und der Schutz bodenbrütender Vogelarten in Deutschland. Vogelwelt 126: 259-298.
Meyer, N., H. Hötker & H. Jeromin (2017): Schutzgebietssystem für Brachvögel in Schleswig-Holstein. Endbericht November 2017. Michael-Otto-Institut im NABU, Bergenhusen.
Roodbergen, M. (2022): Predation problems and protection: an international perspective. Vortrag beim Workshop „Prädation und Gelegeschutz“ am 15.11.2022 in Rees am Niederrhein.
Salewski (2022): Telemetrie von Uferschnepfenküken in Schleswig-Holstein. Vortrag beim Workshop „Prädation und Gelegeschutz“ am 15.11.2022 in Rees am Niederrhein.
Teunissen, W., C. Kampichler, F. Majoor, M. Roodbergen & E. Kleyhaag (2020): Predatieproblematiek bij weidevogels. Sovon-rapport 2020/41. Sovon Vogelonderzoek Nederland, Nijmegen.