Prädationsmanagement ohne Waffe: Gelegeschutz mit Elektrozaun
- Dr. Martin Steverding
- vor 24 Stunden
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Etwa 9 bis 10 Paare des vom Aussterben bedrohten Großen Brachvogels brüten in den Feuchtwiesen der Dingdener Heide an der Grenze der Kreise Borken und Wesel in NRW. Das vielfältige Schutzgebiet aus Feuchtgrünland, Heide und Waldflächen wird von der Biologischen Station Kreis Wesel, von der Dingdener Heide-Stiftung und den lokalen NABU-Gruppen betreut. Es ist Heimat für viele bedrohte Arten. Neben dem Brachvogel kommen hier Blaukehlchen, Bekassine, Ziegenmelker, Laubfrosch, Schlingnatter, Zauneidechse und viele andere Tierarten vor.

Seit einigen Jahren betreiben wir mit einer Gruppe aktiver Ornithologen in Zusammenarbeit mit dem Berufsschäfer, dessen Herde Teile des Schutzgebietes beweidet, Gelegeschutz von Brachvögeln durch Elektrozäune. Die Einzäunung mit Elektrozäunen erwies sich bereits vielfach als sehr effektive Schutzmaßnahme für gefährdete Bodenbrüter (vgl. Roodbergen 2022, Teunissen et al. 2020, Brüning et al. 2021). Allerdings ist die Methode aufwändig und bedarf Geduld und Erfahrung bei der Lokalisierung der Nester. Die Brachvögel brüten unauffällig flach geduckt in ihrer Nestmulde am Boden und sind dabei schwer zu entdecken. Oft muss man so lange warten, bis die Partner sich beim Brüten ablösen, um den Nistplatz zu lokalisieren.
Die Brutzeit der Brachvögel hat gerade erst begonnen und die ersten beiden Nester konnten wir in den vergangenen Tagen lokalisieren. Diese sollten nun heute (Freitag, 25.04.) eingezäunt werden. Leider war das erste Nest leer, entweder es wurde bereits von einem Beutegreifer entdeckt und geleert oder die Brut wurde aus anderen Gründen aufgegeben und erst danach geplündert. Beim zweiten Nest hatten wir mehr Glück:
Zuerst galt es, das Nest zu finden, um den exakten Standort zu kennen, damit der Zaun richtig gesetzt werden konnte. Aus der Distanz kann man sich bei einer weitläufigen Wiese schnell um Dutzende Meter verschätzen. Wir mussten also den Nistplatz beim Annähern genau im Blick halten. Insbesondere auf den letzten Metern war Vorsicht geboten, um nicht das Gelege zu gefährden. Einzelne Löwenzahlblüten halfen sehr beim Anpeilen des Nests, so dass wir die vier Eier leicht fanden. Der brütende Vogel war zuvor mit lauten Warnrufen aufgeflogen. Nun musste alles sehr schnell gehen, damit die Eier nicht auskühlten. Ich bleib beim Gelege als Orientierungsmarke stehen und die übrigen sechs Personen bauten schnell und routiniert die 50 x 50 m Elektrozaun auf und schlossen das Stromgerät an. Dann verließen wir alle zügig die Wiese. Kurz später sah ich den Brachvogel wieder flach geduckt in seiner Nestmulde sitzen.
Der Zaun stört die Brachvögel kaum. Erfahrungen aus dem Kreis Steinfurt zeigen, dass er sogar über den Schlupftermin der Jungen hinaus stehen bleiben kann und die Küken problemlos das eingezäunte Areal durch die weiten Maschen verlassen können.

Bei einer Art, die so selten und bedroht ist wie der Brachvogel, ist es durchaus sinnvoll, den natürlichen Faktor der Prädation durch gezielte Maßnahmen zu minimieren. Die Einzäunung von 50 x 50 m (0,025 ha) ist ein vertretbar geringer Eingriff zum Schutz des gefährdeten Wiesenvogels und bedarf keiner Tötung von Beutegreifern.
Die Suche nach den Nestern der Brachvögel geht weiter, um mehr Gelege auf die gleiche Weise zu schützen. Im Anschluss an den Zaunbau konnte ich den Brutplatz im direkt benachbarten Brachvogelrevier lokalisieren. Der nächste Zaunbaueinsatz ist in Sicht.
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Quellen:
Brüning, I., B. Beckers & S. Klostermann (2021): LIFE-Projekt zum Schutz der Wiesenvögel in Nordrhein-Westfalen. Der Falke Sonderheft 2021: Vögel im Grünland, S. 58-63.
Roodbergen, M. (2022): Predation problems and protection: an international perspective. Vortrag beim Workshop „Prädation und Gelegeschutz“ am 15.11.2022 in Rees am Niederrhein.
Teunissen, W., C. Kampichler, F. Majoor, M. Roodbergen & E. Kleyhaag (2020): Predatieproblematiek bij weidevogels. Sovon-rapport 2020/41. Sovon Vogelonderzoek Nederland, Nijmegen.