Die Jagdstatistik weist für das Jagdjahr 2019/20 (April bis März) eine Strecke von 881.886 Wildschweinen aus – in diesem Zeitraum wurden mehr als doppelt so viele Wildschweine getötet wie noch vor 20 Jahren. Anfang der 2000er Jahre wurden in Deutschland im Zeitraum der jeweils vergangenen zehn Jahre etwa drei Millionen Wildschweine im Rahmen der Jagd getötet, heute sind es über sechs Millionen.
„Die Wildschweinbestände erholen sich schnell von diesen Verlusten. In wenigen Jahren werden wir Jahresstrecken mit einer Million und mehr Wildschweinen haben.“ Davon ist Lovis Kauertz, Vorsitzender von Wildtierschutz Deutschland, überzeugt: „Die Jagd ist völlig kontraproduktiv, auch weil dadurch mit einer intakten Sozialstruktur womöglich der letzte limitierende Faktor der Zahl der Wildschweingeburten zerschossen wird. Darüber hinaus trägt die Fütterung zu Jagdzwecken, die sogenannte Kirrung dazu bei, dass auch junge Tiere so kräftig werden, dass sie bereits vor Vollendung des ersten Lebensjahres Nachwuchs bekommen. Nicht selten lassen auch Landwirte ihre Maisäcker in Absprache mit den Jagdpächtern bis in den Dezember stehen.“
Schon vor vielen Jahren haben wir darauf hingewiesen, dass der Jagdbetrieb hinsichtlich der Reduzierung der Zahl der Wildschweine nicht zielführend ist. Weil Jäger, Behörden und Politik schon lange mit ihrem Latein am Ende sind, ermöglichen oder tolerieren sie immer neue Jagdpraktiken und technische Ausrüstung, die zwar nicht zur nachhaltigen Reduzierung der Wildschweinbestände führen, aber erhebliches Tierleid verursachen.
Bei der Jagd auf Wildschweine gibt es schon seit langem keine Tabus mehr: Die Tiere werden ganzjährig ohne Schonzeiten bejagt, es werden Jungtiere, Alttiere, Leitbachen getötet. Nachts werden sie mit Scheinwerfern gejagt, in vielen Bundesländern bereits mit Nachtzieltechnik. Den Wildschweinen wird mit Fallen nachgestellt, sogenannten Saufängen, in welchen gelegentlich ganze Rotten unter größten Qualen geradezu niedergemetzelt werden. Hundertschaften von Jägern und Treibern beunruhigen im Rahmen von Drückjagden teilweise bis in den März hinein die sich in der Winterruhe befindlichen Wildtiere. Mitgeführte Hundemeuten richten - wie der Verband der Berufsjäger in NRW im Jahr 2020 berichtete - dabei nicht selten Massaker unter den Frischlingen an.
Als sei das nicht schon genug, gibt es auch noch zahlreiche Jäger, die trotz Übungsnachweis einfach nicht treffsicher sind. Die Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz weist darauf hin, dass Studien zufolge bei Gesellschaftsjagden einem nicht unbeträchtlichen Teil der Tiere in den Bauch oder in die Beine geschossen wird. Manch ein Schwarzkittel verhungert im Dickicht, weil ein Jagdausübungsberechtigter ihm den Unterkiefer weggeschossen hat und vielleicht auch die Nachsuche – wenn sie dann stattgefunden hat – ergebnislos war.
Dazu Lovis Kauertz: „Die Rahmenbedingungen dafür lässt sich die Politik von Jagd-, Forst- und Bauernlobbyisten diktieren. Ich habe den Eindruck, dass unsere Spitzenpolitiker, die nicht selten selbst einen Bezug zur Jagd oder zur Landwirtschaft haben, hier ausschließlich nach opportunistischen Prinzipen handeln. Tierschutz ist für Klöckner, Backhaus, Hauk & Co. doch eher ein Lippenbekenntnis. Es geht einerseits darum, den Wählern, der Öffentlichkeit und der Wirtschaft vorzugaukeln, man habe „das Problem Wildschwein“ im Griff. Andererseits fürchten Politiker aller Parteien die Macht und den Einfluss der Grünröcke, der Bauern und der Waldbesitzer.“
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