Hören - Ständig balancierte sie auf dem schmalen Grat zwischen Vorsicht und Tod. Wie nah der Tod Seite an Seite mit ihr ging, bekam sie in einer klaren Vollmondnacht im Februar zu spüren. Ihr Partner kürzte über die mondhelle Waldwiese ab, während sie den längeren Weg entlang des Saumes im Schatten der Kiefern wählte. Niemals vergisst sie den Knall des Gewehrs, der sein Leben beendete. Sie ging niemals im winterlichen Mondschein über ein offenes Feld.
Ihre ersten Welpen im Vorjahr waren von Jagdhunden aus dem Bau gezerrt und getötet worden. Jetzt hatte sie das zweite Mal in ihrem Leben Welpen geboren und als alleinerziehende Fuchsmutter musste sie ohne die Hilfe des Vaters den Nachwuchs versorgen, mit ihnen spielen und sie bewachen.
Schon bei der Geburt der sechs Fuchswelpen war sie erschöpft. Sie musste jetzt genug Nahrung aufnehmen, um ausreichend Milch zu geben und dabei stets den schmalen Grat zwischen Vorsicht und Tod entlangwandern. Niemals ging sie in eine Betonrohrfalle, auch wenn der Köder noch so verlockend roch. Niemals folgte sie der intensiven Duftspur einer Schleppe aus Aas, mit der Jäger Füchse vor den Hochsitz locken. Niemals folgte sie dem Wehklagen eines Hasen, denn es konnte ein Jäger sein, der den Ruf zum Anlocken der Füchse imitierte. Niemals grub sie etwas aus dem Boden aus, das sie nicht selbst versteckt hatte. Sie war eine erfahrene und sehr vorsichtige Füchsin.
Doch wo konnte sie wagen hinzugehen, um genügend Nahrung für sich und ihren Nachwuchs zu bekommen? Die Landschaft der Angst ließ ihr wenig Spielraum. Das Wetter war in diesem Frühling oft schlecht: Windrauschen machte häufig das Lokalisieren der Mäuse schwer und im meistens nassen Gras raschelten diese kaum. Zudem waren Mäuse wirklich Mangelware, so wie es etwa alle drei bis vier Jahre vorkam. Drei der sechs Kleinen verstarben still und leise in der Dunkelheit des Fuchsbaus, noch weit bevor sie ihn hätten verlassen können. Unsere namenlose Heldin gab nicht genug Milch für alle, obwohl sie alles gab, stets am Rand der völligen Erschöpfung, allein ohne ihren Partner, immer dicht an der Kante des schmalen Grates.
Die wenigen Mäuse reichten auch für drei Kinder nicht, so musste sie Wagnisse eingehen. Da gab es dieses eine Hühnergehege mit dem kleinen offenen Nachtstall. Sie buddelte sich unter dem Lattenzaun hindurch. Überall Menschengeruch, ungewohnte Geräusche, sie hielt inne, wartete, buddelte weiter. Der Hofhund im Zwinger bemerkte sie und schlug an – schnell weg hier, abwarten bis der Hund ruhig wird und vorsichtig zurückschleichen, die Angst als ständiger Begleiter.
Schließlich hatte sie Erfolg und trug das erste Huhn zum Bau. Keine Zeit verlieren, die drei Kleinen hungerten – sofort zurück die ganze Strecke zum Hof. Der Hund schlug direkt an, sein Bellen hallte durch die Stille der Nacht. Schnell unter dem Zaun hindurch, hinein in den Stall, das zweite Huhn gepackt und nichts wie weg. Die anderen Hühner schrien wild, der Hund bellte rasend. Die Fuchsmutter hatte den Hof mit ihrer Beute noch nicht ganz verlassen, da ging schon hinter ihr das Licht an und der Bauer war mit dem Gewehr auf dem Weg zum Hühnerstall.
Die zwei Hühner hielten die dezimierte Familie ein paar Tage am Leben, aber es reichte schließlich auch für sie nicht. Selbst erschöpft und abgemagert musste unsere Füchsin im Mai den Tod zweier weiterer ihrer Kinder miterleben. Nur ein Fuchswelpe wurde groß und wuchs zu einem stattlichen Rüden heran. Er verließ im Herbst seine Mutter und das Kindheitsrevier, um seinen eigenen Weg zu gehen, mit der Achtsamkeit, die er gelehrt bekam, auf dem schmalen Grat zwischen Vorsicht und Tod.
+++
Bitte fordern Sie auch die Briefwahlunterlagen zur Volksabstimmung an und stimmen Sie für das Ende der Fuchsjagd