Der Deutsche Jagdverband macht regelmäßig Stichprobenzählungen, rechnet diese auf Deutschlands Großlandschaften hoch und kommt so zu Hasenbeständen, die nur einen leichten Rückgang oder gar eine Erholung der Populationen vorgaukeln. Wildtierschutz Deutschland hält die Hochrechnungen für unseriös, weil in den wenigen teilnehmenden Revieren vornehmlich dort gezählt wird, wo auch tatsächlich Feldhasen vorkommen, weil Agrar- und Forststrukturen bei den Hochrechnungen nicht oder unzureichend berücksichtigt werden und weil es im Interesse der Jägerschaft liegt, einen möglichst hohen Bestand vorzutäuschen.
Nachfolgend erläutern wir dem kritischen Beobachter, wo die Schwächen der – wie die Jagdlobbyisten nicht müde werden zu betonen - „nach wissenschaftlichen Standards und unter wissenschaftlicher Begleitung“ vorgenommenen Hasenzählung liegen.
Trotz zunehmender Verkehrsdichte in NRW ist die Zahl der überfahrenen Hasen stark rückläufig - ein sicheres Indiz für den Rückgang der Hasenbestände - Bild: Timo Litters
Behauptung Landesjagdverband NRW:
„Nordrhein-Westfalen hat bundesweit im Vergleich der Flächenländer weiterhin die höchste Hasendichte.“
„Seit dem Jahr 2001 erheben wir nach wissenschaftlichen Standards und unter wissenschaftlicher Begleitung die Frühjahrs- und Herbstbestände des Feldhasen in über 100 Referenzrevieren für ganz NRW. Mit einem Medianwert von 16 Hasen je 100 Hektar Taxationsfläche liegen wir bundesweit ganz vorne. Von 2017 auf 2018 konnten wir sogar eine leichte Bestandserhöhung belegen,“ erklärte Ralph Müller-Schallenberg, Präsident des Landesjagdverbandes NRW.
Position von Wildtierschutz Deutschland:
Richtig ist, dass Jäger in ausgewählten Revieren regelmäßig die Hasen zählen und in diesen Revieren („Referenzgebiete“) in NRW im gewichteten Mittel (Median) möglicherweise 16 Hasen gezählt werden. Von diesem Wert kann man allerdings kaum – wie Müller-Schallenberg, Präsident des Landesjagdverbandes NRW, es macht – verlässlich auf den Gesamtbestand oder auch nur die Bestandsdichte der Feldhasen in NRW schließen. Aus folgenden Gründen:
In NRW wird nach Aussagen des Jagdverbandes in 100 Referenzgebieten gezählt. Die stellen gerade mal ein Anteil von 1,85 Prozent der gesamten Jagdfläche des Landes dar.
Eine flächendeckende Bestandszählung in den Referenzgebieten findet nicht statt. Referenzgebiete können aus mehreren Jagdrevieren bestehen und sollen eine Größe von insgesamt ca. 500 ha haben.
Zählungen werden überwiegend dort gemacht werden, wo ein sicherer Feldhasenbestand vorhanden ist. Wo der nicht mehr gegeben ist, nehmen ehemalige Referenzgebiete an den Erhebungen nicht mehr teil.
Jagdpächter ohne oder mit geringen Feldhasenvorkommen nehmen an den Zählungen nicht teil oder sind unterrepräsentiert.
Die Bestandszahlen pro 100 ha Fläche reflektieren demnach die Zahl der Hasen in den „besseren“ Hasenrevieren und können schon alleine deshalb nicht auf die gesamte Fläche, die als Lebensraum für Hasen in Frage kommt, hochgerechnet werden. Sie sind nicht repräsentativ.
Die Ergebnisse der Zählungen auf die Jagdbezirksfläche hochzurechnen ist unseres Erachtens auch deshalb kein korrekter Ansatz, weil der relativ hohe Anteil der für Feldhasen nicht geeigneten Lebensräume (Monokulturen wie Mais, Raps) dabei nicht berücksichtigt wird. Ferner dürfte die Bestandsdichte in Forstrevieren geringer sein, als in landwirtschaftlich geprägten Revieren, so dass bei einer Hochrechnung auch hier eine entsprechende Gewichtung vorgenommen werden müsste, was aber wohl nicht gemacht wird, da diese Daten in WILD – zumindest in den öffentlich zugänglichen Berichten - gar nicht erfasst oder ausgewiesen werden.
Der Deutsche Jagdverband geht in seinem Bericht zur Hasenzählung 2017 noch weiter und behauptet auf Basis seiner nicht repräsentativen Stichprobenzählungen, in Deutschland gäbe es noch 3,5 Millionen Hasen. Da ist wohl eher der Wunsch der Vater der Gedanken. Tatsächlich dürften es noch etwa 1,2 bis 1,5 Millionen Feldhasen in Deutschland geben.
Die Aufteilung der Streckenstatistik in erschossene und überfahrene Feldhasen in NRW macht deutlich, dass die Zahl der Hasen rapide abnimmt. Sie ist auch ein Indiz dafür, dass, wie Sprecher der Jagdverbände betonen, weniger Hasen erschossen werden. Ist ja logisch, denn in immer mehr Revieren in NRW gibt es kaum noch oder gar keine Feldhasen mehr.
Für Nordrhein-Westfalen haben wir uns exemplarisch sowohl die Streckenzahlen, also die Zahl der durch Jäger getöteten Hasen, als auch die Zahl der durch Unfälle und andere Ursachen ums Leben gekommenen Feldhasen (Fallwild) angesehen:
Jagdstrecke Feldhasen NRW 2001/2002: 146.199 (davon Fallwild: 24.420) 2002/2003: 152.507 (davon Fallwild: 24.484) 2003/2004: 198.764 (davon Fallwild: 25.707) 2004/2005: 178.757 (davon Fallwild: 25.678) 2005/2006: 170.864 (davon Fallwild: 24.988) 2006/2007: 154.854 (davon Fallwild: 25.051) 2007/2008: 170.222 (davon Fallwild: 24.697) 2008/2009: 134.927 (davon Fallwild: 19.362) 2009/2010: 127.977 (davon Fallwild: 18.901) 2010/2011: 126.944 (davon Fallwild: 19.402) 2011/2012: 110.598 (davon Fallwild: 18.384) 2012/2013: 96.855 (davon Fallwild: 16.980) 2013/2014: 66.985 (davon Fallwild: 15.036) 2014/2015: 61.562 (davon Fallwild: 14.578) 2015/2016: 54.199 (davon Fallwild: 12.890) 2016/2017: 47.055 (davon Fallwild: 11.097) 2017/2018: 39.780 (davon Fallwild: 10.658)
Die Zahl im Rahmen der Jagdstrecke erfassten Feldhasen hat seit der Jagdsaison 2007/2008 um etwa 73 Prozent von über 170.000 auf fast 40.000 abgenommen. Selbst wenn die Jäger nur noch dort jagen, wo höhere Hasenbestände vorhanden sind, ist die signifikante Abnahme der Hasenstrecke doch ein gewichtiges Indiz für den Rückgang der Hasenbestände in Nordrhein-Westfalen. Gegenüber dem Jahr 2008 wären die Jäger in vielen Revieren auch gar nicht mehr in der Lage gewesen, Hasen zu jagen – denn es gibt sie dort ganz einfach nicht mehr oder nicht mehr in dem gekannten Ausmaß.
Dass die Streckenlisten kein Spiegelbild der realen Bestandsituation sind oder sein müssen, ist ein Gemeinplatz. Damit verbunden ist, dass je nach Interessenlage der Jägerschaft die Streckenzahlen einmal so gedeutet werden, als seien sie ein Abbild der Bestandsgröße, das andere Mal in umgekehrter Weise, dass sie nicht die wirkliche Situation der betreffenden Tierart wiedergeben.
Nun ist unbestritten, dass die Streckenentwicklung der Feldhasen in NRW allgemein (wie auch in anderen Bundesländern) schon seit Ende der 70er Jahre einen Abwärtstrend aufweist, der auch in den letzten 10 Jahren ungebrochen ist und mit einer Konstanz daherkommt, die von den üblichen zum Beispiel vom Wetter verursachten Schwankungen einer Hasenpopulation abweicht.
Bestätigt wird unsere Feststellung des Rückgangs der Hasenbestände in Nordrhein-Westfalen auch durch jagdunabhängige Zahlen. Die Zahl der nicht durch die Jagd getöteten Langohren (Fallwild) ist ebenfalls stark rückläufig: während in den zwölf Monaten des Jagdjahres 2007/08 noch 24.697 Tiere wohl hauptsächlich überfahren wurden, waren es bei höherer Verkehrsdichte in 2017/18 nur noch 10.658. Das sind ca. 57 Prozent weniger.
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