Hören | Sonntagabend, die Schnellstraße am Rand des Ruhrgebiets war angenehm leer. Ich bog in eine kleinere Seitenstraße und verließ auch diese bald, um in ein enges Sträßchen zu fahren, das in den tiefen Waldschatten hineinführte. Dort stellte ich den Wagen am ausgefahrenen Wegrand ab, wo häufig Angler parkten. Von hier aus war es noch ein kleiner Fußweg zum Ziel. Die recht kühle Luft des wolkenverhangenen Sommerabends war erfüllt vom Duft des feuchten Waldes, nichts deutete hier auf die Nähe der Großstädte hin. Ein schmaler Waldweg, dann ein Trampelpfad die glitschige Böschung hinab und ich fand mich in einer anderen Welt.
Wild und schön strömte die Lippe durch ihr kleines Tälchen. Alte Bäume säumten die steilen Uferböschungen, Weidenbüsche ragten weit in den vom vielen Regen vollen Fluss. Nichts war zu hören von der lärmenden Geschäftigkeit der nahen Straßen und Städte, nur das Rauschen einer kleinen Stromschelle, der Gesang der Vögel und der Wind in den Baumkronen.
Gebannt wartete ich auf die Biber, die diesen Fluss wieder erobert haben und hier inzwischen recht zahlreich vorkommen. Es dauerte nicht lange, da trieb der erste unauffällig und nahezu regungslos wie ein Stock mit der kräftigen Strömung flussabwärts davon. Plötzlich tauchte ein weiteres Tier auf, viel kleiner und struppiger: Ein Junger von diesem Jahr! Auch er ließ sich von der Strömung fortdriften, ebenso ein zweiter Kleiner. Der Bau lag gegenüber in der steilen Böschung, der Eingang unter Wasser. Es war erstaunlich, wie unauffällig die Biber hinaustauchten.
Ein kleines Stück flussabwärts gab es einen weiteren Anglerpfad. Dort durfte ich an magischen Momenten des wilden Lebens teilhaben, so intensiv und schön, wie man es nur selten erleben kann. Eine Biber-Großfamilie aus drei Kleinen von diesem Jahr und mindestens drei, wahrscheinlich mehr großen, also vorjährigen oder erwachsenen Bibern ließ sich völlig ungestört bei noch gutem Tageslicht beobachten. Nur die etwa 30 Meter Flussbreite trennten mich von ihnen.
Ein erwachsener Biber richtete sich auf und angelte mit den Vorderpfoten die hohen Grashalme des Rohrglanzgrases herunter, um sie von der Spitze her zu fressen. Dann schwamm er zu einem der diesjährigen Jungtiere, das schon einige Zeit lang direkt mir gegenüber am Ufer graste. Die beiden stubsten sich gegenseitig zur Begrüßung mit ihren Nasen an. Etwas später drehte sich ein kleiner Biber um die eigene Längsachse wie ein Kajakfahrer, der Eskimorollen schlägt. In einem anderen Moment ritt ein Junger huckepack auf einen schwimmenden Elterntier, das dann untertauchte, um den Kleinen abzuschütteln. Der aber ließ nicht locker und stieg gleich wieder auf, als der Erwachsene ein paar Meter weiter wieder auftauchte. Als es zu dämmern begann, schwammen vier Familienmitglieder zu einer großen Pappel, die mit dem Stammfuß im hohen Wasser der Lippe stand, um gemeinsam daran zu nagen. Das laut hörbare Holzraspeln schien eine soziale Handlung zu sein, der unten schon ziemlich blankgeschälte Stamm ließ darauf schließen, dass dies zum normalen Programm der Nagerfamilie gehörte.
So vielen kleinen Szenen aus dem Familienleben der Biber durfte ich beiwohnen. Einen Teil konnte ich mit der Kamera einfangen. Als das Licht zum Fotografieren und Filmen zu schwach wurde, konnte ich noch eine ganze Weile mit dem Fernglas beobachten und genießen, bis ich bei fortschreitender Dämmerung langsam davonpirschte und das kleine wilde Paradies verließ.
Dieser Abend Ende Juni 2024 bleibt unvergessen. Ich bin dankbar, dass mir ein solches Erlebnis möglich war und dass der Biber ebenso wie der Fischotter diesen schönen Fluss am Rand des Ballungsraumes in den letzten Jahren wieder erobert hat. Konflikte mit dem Biber gibt es bislang an der Lippe nur sehr selten. Es ist zu hoffen, dass diese für unsere Gewässerökosysteme so zentral wichtige Tierart sich in Nordrhein-Westfalen weiter ausbreiten wird und dass hier niemals bayerische Verhältnisse einkehren, denn dort werden alljährlich viele Biber gezielt getötet.
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