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Dr. Martin Steverding

Wie ein Biber nach Borken an den Niederrhein kam

Teil 1: Der einsame Biber

Hören - Die Wiederansiedlung des Bibers in Nordrhein-Westfalen ist eine Erfolgsgeschichte im Artenschutz. Ein Verbreitungsschwerpunkt ist der Niederrhein. Nach den Auswilderungen von Elbebibern konnte sich Europas größtes Nagetier dort rasch ausbreiten und besiedelt inzwischen die Rheinauen, viele der rheinnahen Kiesbaggerseen und einige Rhein-Nebenflüsse wie die Lippe.


Biber im Abendlicht Wiederansiedlung Nordrhein-Westfalen
Ein Biber im Abendlicht. Bild: Georg Popp & Verena Popp-Hackner wiener-wildnis.at

Nicht weit vom Niederrhein entfernt fließt das Flüsschen Bocholter Aa im Süden des Kreises Borken (NRW). Die Aa ist wegen der höchst intensiv genutzten Agrarlandschaft gänzlich begradigt. Nur ein kleiner Abschnitt unterhalb der Kreisstadt Borken ist naturnah gestaltet und weitgehend entfesselt.


Baumfällarbeiten eines Bibers am Niederrhein
Bild: Dr. Martin Steverding

Hier wurde im Jahr 2009 ein Biber fotografiert, der einen Fuß- und Radweg überquerte. In den folgenden Monaten zeugten gefällte Bäume mit den typischen Nagemustern von seiner Anwesenheit und fortan waren permanent die Spuren des großen Nagers zu sehen. Jeden Winter fällte er ein paar Pappeln oder Weiden am anderen Ufer gegenüber dem Wanderweg. Das Tier selbst wurde dennoch kaum gesehen.


War es wirklich nur ein einziges Tier? In Abstimmung mit der Naturschutzbehörde versuchte ich im Frühjahr 2022 herauszufinden, ob es mehr als einen Biber gab. Seine Wohnstätte, ein halb unterirdischer Mittelbau, also eine Mischung aus einem Erdbau und einer oberirdischen Knüppelburg, war mir seit Jahren bekannt. Mehrfach konnte ich mit der Wildkamera einen Biber im Umfeld des Baus aufnehmen und auch mit der Wärmebildkamera ließ sich in der Abenddämmerung nur ein Tier beim Hinausschwimmen beobachten. Bei weiteren Ansitzen im Jahr 2023, zuletzt Ende Oktober, ließ sich weiterhin immer nur ein Tier blicken. Wir können also davon ausgehen, dass nur ein einziger Biber an der Bocholter Aa lebt. Mit einiger Wahrscheinlichkeit ist es seit 14 Jahren dasselbe Tier, allerdings ist nicht ganz auszuschließen, dass inzwischen der erste Biber gestorben und ein neuer zugewandert ist.


Wie kam der Biber in die Bocholter Aa? Drei Möglichkeiten sind denkbar:


Möglichkeit 1: Der Biber wurde ausgesetzt.

Ein 20 bis 30 kg schweres, kräftiges und wehrhaftes Tier zu verfrachten und auszusetzen, ist nicht leicht. Noch schwieriger ist es, einen Biber zu halten – im wahrsten Sinne des Wortes: Es gibt nur wenige Materialien, die den Nagezähnen standhalten, ein Biber lässt sich nur mit erheblichem Aufwand in einem Gehege einsperren. Biber werden schon daher nur sehr selten in Gefangenschaft gehalten. Zudem: Wer sollte ein Interesse haben, ein solches Tier aus größerer Entfernung zu verfrachten, um es in der Bocholter Aa freizulassen. Eine Aussetzung kann also nahezu ausgeschlossen werden.


Möglichkeit 2: Er ist auf dem kürzesten Weg zugewandert.

Das nächstgelegene Vorkommen befindet sich etwa 18 km Luftlinie südlich in der Lippe im Kreis Wesel. Dazwischen verläuft die Issel, die ebenso wie die Bocholter Aa begradigt ist und keine Bibervorkommen aufweist. Beide Flüsse fließen in die Niederlande, wo die Aa nahe Ulft in die Issel mündet, die dort Oude Ijssel heißt. Erst deutlich weiter flussabwärts mündet diese in die dort mit dem Rheinsystem verbundene Ijssel.


Zwischen den nächstgelegenen Bibervorkommen in der Lippe und am Rhein bei Wesel und der Bocholter Aa besteht kein verbindendes Gewässer. Ein Weg von vielen Kilometern über Land durch eine hochgradig intensiv genutzte und von zahlreichen großen Straßen wie die A 3, die B 67 und B 70 zerschnittene Landschaft kann mit Sicherheit ausgeschlossen werden.


Möglichkeit 3: Zuwanderung von der niederländischen Ijssel

Der einzige plausible Weg der Zuwanderung ist der Wasserweg von der Ijssel in den Niederlanden durch die Oude Ijssel und die Bocholter Aa hinauf. Die Ijssel ist von Bibern besiedelt und sie ist über den Pannerdens Kanal und Nederrijn nahe Arnhem (Niederlande) mit dem Rheinsystem verbunden. Wir gehen also davon aus, dass der Biber von der Ijssel in die Oude Ijssel und von dort in den Aastrang, wie die Bocholter Aa in den Niederlanden heißt, abgebogen ist.


In der Fortsetzung dieses Berichts begleiten wir den Biber auf seiner beschwerlichen Reise voller Hindernisse und Gefahren durch die Stadt Bocholt und weiter flussaufwärts, bis er endlich kurz vor Borken einen Lebensraum finden und sich niederlassen konnte.

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