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  • Hanno Pilartz, Weidetierhalter | Dr. Peter Herold, Dipl. Biologe

Über den Wolf im Ökosystem - Teil II

Wolf und Weidetiere - Herdenschutz

Dass viele Weidetierhalter den Wolf nicht mögen, ist menschlich verständlich, denn er macht ihnen beim Bau von Zäunen, deren Verstärkung zur Wolfsabwehr und deren Unterhalt mehr Arbeit. Die Behauptung, der Wolf überwinde jeden Zaun, entspringt vor allem der chronischen Arbeitsüberlastung der Weidetierhalter. Denn wenn es eh nichts nutzt, muss man ja nichts machen. Dass das im Übrigen nicht stimmt, haben Peter Schütte (1) in Niedersachsen und Swen Keller (2) in Sachsen-Anhalt zweifelsfrei nachgewiesen.

 

Wolf schleicht um mit Zaun geschützte Schafsherde
Bestandsmanagement von Wölfen kann schon aufgrund ihrer Sozialstruktur nicht zielführend sein. Nur der Herdenschutz ermöglicht ein weitgehend konfliktarmes Zusammenleben. Bild: Michael Hamann

Da der Wolf aber ansonsten – wie in unserem ersten Teil beschrieben – einen großen volkswirtschaftlichen Nutzen haben kann, indem er beispielsweise den auf 11 Mio. Hektar bundesdeutscher Waldfläche immens teuren Schutz von Baumpflanzungen im Forst mittelfristig weitgehend erübrigt, ist es völlig legitim, den Weidetierhaltern beim Mehraufwand durch den Wolf seitens der öffentlichen Hand tatkräftig unter die Arme zu greifen. Schließlich bewirken regelmäßig gewartete Schutzzäune gegen den Wolf an Weiden zudem, dass die allgegenwärtige Verkehrsfunk-Meldung „Achtung, freilaufende Pferde, Kühe, Schafe …“ seltener wird!

 

Eine Alternative zum Herdenschutz durch Zäune und Hunde scheint es nicht zu geben. Alle Versuche, durch ein Bestandsmanagement der Wölfe deren Risse von Weidetieren zu reduzieren - sei es in Frankreich, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien und dem Baltikum – scheinen keinen Erfolg gehabt zu haben. Deshalb wurde die Bejagung der Wölfe in der Slowakei, in Spanien und im Baltikum wieder aufgegeben.


Für Frankreich haben Oksana Grente et al. (3) untersucht, wie sich eine groß angelegte Wolfsbejagung auf die Anzahl der Weidetierrisse auswirkt. Obwohl zwei der Autoren für das Office français de la Biodiversité arbeiten, welches die Wolfsjagden veranstaltet, kamen sie zu dem enttäuschenden Ergebnis, dass die Risse trotz der Entnahme eines Fünftels der mutmaßlichen Wolfspopulation nicht zurückgingen. Nach einigen Quellen scheinen sie sogar eher gestiegen zu sein.


Wie das? Wenn im Rahmen von regelmäßigen Wolfabschüssen fast zwangsläufig auch Elterntiere getötet werden, gibt es eine Anzahl führerloser Jungwölfe, deren Risikoverhalten durchaus mit dem junger Menschen vergleichbar ist. Die Folge sind mehr Risse.

 

Der Umgang mit dem Wolf

Die vorgenannten Fakten sind allesamt wissenschaftsbasiert.

Ein weiteres Beispiel: Es wird behauptet, man müsse den Wolf mit der Jagdwaffe scheu halten. Der international renommierte Wolfsforscher Prof. Dr. Kurt Kotrschal (vormals Universität Wien) vertritt dagegen die Auffassung, dass Wölfe seit etwa 8.000-10.000 Jahren, seit der Mensch nach der Sesshaftwerdung die Viehhaltung begann, auf Scheue vor dem Menschen selektiert wurde. Und dass sich dies nicht in wenigen Generationen verliert. (4)


Kotrschal räumt auch mit zwei weiteren Legenden auf:

  • „Wolfsfreie Zonen“, wie sie z.B. Mutterkuh-Halter gerne fordern, sind aufgrund der hohen Mobilität der Wölfe völlig undenkbar, da z.B. wandernde Jungwölfe in einer Nacht – vom Menschen völlig unbemerkt – leicht 70 km zurücklegen!

  • Ein Bestandsmanagement, damit Wolfsbestände nicht überhandnehmen, ist völlig überflüssig! Seit 10.000 Jahren regulieren Wölfe ihren Bestand, indem sie fremde Wölfe aus ihrem Territorium blutig vertreiben und sich dabei auch gegenseitig töten. Sind alle verfügbaren Territorien besetzt, sinkt die Reproduktionsrate drastisch. Anders als gelegentlich behauptet funktioniert das auch in einer Kulturlandschaft, wie die Bestandsentwicklung der Wölfe z.B. in Sachsen zeigt. Auch die Zahlen zur Populationsentwicklung der Wölfe in ganz Deutschland lassen diesen Trend bereits erkennen, obwohl Deutschland noch zu über der Hälfte nicht besiedelt und somit noch viel freier Lebensraum für Wölfe vorhanden ist (5).

 

Bei der Frage, ob und wie wir in Zukunft wieder lernen, mit dem Wolf zu leben, geht es auch darum, ob wir uns weiterhin wie „die Krone der Schöpfung“ aufführen wollen oder ob wir endlich lernen, uns als Teil eines großen Ganzen zu verstehen. Der Wolf als Spitzenprädator war nur 200-300 Jahre in unseren Ökosystemen weitgehend abwesend. Das ist ein Wimpernschlag auf der Zeitachse der Evolution.


Welche destabilisierende Wirkung auch in einer Kulturlandschaft seine Abwesenheit hatte, fangen Wissenschaftler gerade erst an zu verstehen. Wir sollten auf sie hören! Gut möglich, dass davon unser mittelfristiges Überleben als Art auf diesem Planeten abhängt.

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Lesen Sie auch Teil I "Über den Wolf im Ökosystem"

Quellen:

(1) Schütte, Peter (NABU Niedersachsen, 2021), Wolfsabweisende Zäune für Pferdeweiden 

(2) Keller, Swen (IG Herdenschutz plus Hund) in Bauernzeitung (2022), Herdenschutz: So wird er praktikabel und bezahlbar

(4) Kurt Kotrschal: Warum wir Angst vor dem Wolf haben (WDR 2022)

(5) DBBW (2023): Wölfe in Deutschland, Statusbericht 2022/23

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Antwort von Juliette Bligny, cheffe unité loup à la Dreal (Direction Régionale de l’Environnement, de l’Aménagement et du Logement) Auvergne-Rhône-Alpes, auf die Frage von Dr. Peter Herold in der Online-Veranstaltung Conférence LWA EU am 05.12.2022:

 

„Juliette, was ist Ihrer Meinung nach die Ursache für die steigende Anzahl von Wolfsrissen in den letzten zwei Jahren?“

 

„Zum einen kann dies an der Zunahme der Wolfsdichte in der historischen Zone des Wolfsvorkommens liegen. Gut die Hälfte der Übergriffe entfallen allerdings auf Regionen, in denen Wolfsangriffe neu sind und wo entsprechend keine Schutzmaßnahmen getroffen wurden, wo man von der Intensität der Angriffe überrascht wurde.

 

Wir wurden auch Zeuge von Angriffen mit einer hohen Anzahl von Opfern pro Angriff. Unsere Zahlen weisen allerdings darauf hin, dass Schutzmaßnahmen die Schwere der Angriffe reduziert (weniger Opfer). Nebenbei bleibt es zu untersuchen, inwieweit Abschüsse Rudelstrukturen zerstören, die Anzahl der Rudel erhöhen, weil es zu einer vorgezogenen Abwanderung von Einzeltieren kommt, die wegen zu wenig Jagderfahrung mehr auf tödliche Angriffe (auf Weidetiere) verfallen.

 

Anmerkung des Übersetzers:

Hier räumt eine Vertreterin der französischen Regionalverwaltung Auvergne-Rhone-Alpine (wo die große Mehrheit der französischen Wölfe lebt) eindeutig ein, dass die „Regulierungen“ des OFB zu mehr Rissen und zu zahlreichen zusätzlichen Problemen der Weidetierhalter führen. Besonders erstaunlich: Die eingeräumte Zunahme der Wolfsdichte in ihrem historischen Verbreitungsgebiet.

 

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