Hallo, guten Tag!
Mein Name ist Fuchs, Reinhardt Fuchs. Manche Zweibeiner nennen mich auch „Reineke Fuchs“, aber das finde ich reichlich altmodisch. Es passt einfach nicht mehr in die modernen Zeiten. Genauso wenig wie das Lied, das den kleinen Menschen immer noch im Kindergarten beigebracht wird: „Fuchs du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her, sonst wird dich der Jäger holen, mit dem Schießgewehr.“
Alles Lüge, gemeine Lüge! Wie soll ein Fuchs denn an Gänse kommen, die die Menschen heutzutage in Massen in Ställe sperren, um sie selbst zu töten und zu essen, wenn sie dick und fett gemästet sind. Als einmal eine Stalltüre offenstand, habe ich sie gesehen. Was soll ich sagen? Da standen sie, eng an eng, kaum dass sie sich umdrehen konnten, aufgeregt schnatternd. Die Gänse haben mir leidgetan, nie hätte ich mich an ihnen vergriffen.
Mein Name ist Fuchs, Reinhardt Fuchs. Manche Zweibeiner nennen mich auch „Reineke Fuchs“, aber das finde ich reichlich altmodisch. Bild: Luise Dittombée
Und die Jäger? Ja, die verfolgen und erschießen uns Füchse, wo immer sie einen treffen, da brauchen wir uns gar nichts zu Schulden kommen lassen. Sie nennen uns „rote Freibeuter“. Sie hassen uns. Sie jagen uns. Sie verbreiten Lügen über uns. Sie behaupten, wir Füchse übertragen Tollwut, dabei tritt diese Krankheit seit vielen Jahren hier gar nicht mehr auf. Jäger sagen auch, wir übertragen den „Fuchs-Bandwurm“ auf Haustiere - der eigentlich - weil er von Mäusen kommt, Mäuse-Bandwurm heißen müsste. Sie sagen, wir haben ansteckende Räude, Staupe und was weiß ich noch alles … Jedes Jahr töten diese Jäger mehr als eine halbe Million von uns. 500.000 tote Füchse nebeneinandergelegt – was gäbe das für eine „Strecke“! Die meisten werden erschossen, viele in Fallen gefangen, erschlagen oder von Jäger-Hunden ergriffen und getötet. Eine Tragödie!
Bis vor Kurzem entsorgten Jäger unsere toten Artgenossen als Abfall, als Müll – einfach so. Wir waren nichts wert. Obwohl Menschen alle möglichen toten Tiere in sich hineinstopfen, werden Füchse offenbar nicht verspeist. Lange Jahre interessierte sich niemand mehr für unseren Pelz. Das hat sich geändert.
Zur Zeit gibt es nämlich wieder einen Boom- einen Pelzboom. Die Modewelt der Zweibeiner macht mordsmäßig Reklame für Pelze von echten Tieren. Wenn nicht als Jacke oder Mantel, dann eben als Mütze, als Bommel auf dem Kopf, am Kragen, an den Stiefeln und wer weiß, wo sonst noch. Auch Fuchspelze! Jawohl, tote Füchse werden wieder gebraucht. Davon wollen jetzt auch die Jäger profitieren. Allerding können die mit der Billig-Konkurrenz aus chinesischen Fuchsfarmen schlecht mithalten. Trotzdem! Jäger rotten sich zusammen und bieten die abgezogenen Felle meiner Artgenossen zum Kauf an. Sie gründen Firmen, um die „reifen Fuchsbälge“ zu vermarkten. Für die Jäger sind wir „reif“, wenn unser Fell schön dick, dicht und flauschig ist, das ist meistens im Winter er Fall. Eine neueste Jägergründung heißt – idiotischer geht’s kaum noch: „Fellwechsel“.
Man könnte meinen, ob Jäger nun meine toten Artgenossen auf den Müll werfen oder ihren Pelz verkaufen, mache keinen Unterschied. Einspruch! Fuchsfelle, die in den Handel kommen, müssen gut und unversehrt aussehen und dürfen nicht von Bleischrot durchsiebt und durchlöchert sein. Was das heißt? Zur Erklärung reicht eigentlich nur ein Wort: Fallenjagd!
Viele Zweibeiner meinen ja, Fallen seien längst verboten. Irrtum! Verboten ist das Tellereisen. Bild: Tierschutzverein Lemgo
Viele Zweibeiner meinen ja, Fallen seien längst verboten. Irrtum! Verboten ist das Tellereisen. Wenn ein Tier auf den Teller eines solchen Eisens tritt, schlagen zwei Bügel zusammen und halten das Tier meist am Bein fest, bis ja, bis der Fallensteller auftaucht und das Tier tötet. Es kommt auch vor, dass sich das Opfer selbst befreit, indem es sich ein Bein abbeißt. Wenn es nicht bereits am Schock gestorben ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist hier das Tellereisen seit langem nicht mehr erlaubt. Aber: Jägern dürfen immer noch Fallen stellen, die – nach dem Gesetz – entweder ein Tier lebend fangen oder sofort töten sollen.
Die Totschlagfallen werden mit einem Köder bestückt. Wenn ein Tier den Leckerbissen aufnehmen will, schlagen zwei gezackte Bügel über seinem Kopf zusammen und brechen ihm das Genick. Dann muss nur noch der Fallensteller kommen, sich den toten Körper aneignen und ihm das Fell über die Ohren ziehen – fertig ist der Fuchspelz. So ist es gedacht. Dass das nicht immer nach Vorschrift funktioniert, und dass Fallenjagd mit übler Tierquälerei verbunden ist, weiß ich aus eigener Anschauung. Ich habe nämlich das Landleben und die dort lauernden Gefahren kennengelernt - bis zum Erbrechen.
Der Fuchsbau meiner Familie befand sich in einem riesigen bewaldeten Jagdrevier, gut versteckt, aber nicht weit von der großen Stadt. Wir konnten sie hören und riechen. Wir waren eine kleine Familie: Mutter, Vater und drei Kinder. Alles Jungs. Als wir noch Welpen waren, kümmerte sich hauptsächlich unser Vater darum, dass es uns gut ging. Er versah den Außendienst, schob Wache, ging auf Mäusejagd, schleppte Essen heran, spielte mit uns Kleinen. Unsere Mutter blieb meistens im Bau und umsorgte und verhätschelte uns. Bis, ja, bis zu jenem Tag, an dem unser Vater nicht mehr nach Hause kam. Er blieb verschwunden. Wir ahnten bald, was geschehen war. Jäger! An jenem Morgen hörten wir nämlich Schüsse, Geschrei, Hundegebell. Da war eine Treibjagd in der Gegend. Wir kannten das schon. Die Jäger sind dann außer Rand und Band und schießen auf alles, was sich bewegt. Normalerweise heißt das für uns Füchse: Ruhe bewahren, im Bau bleiben, bloß nicht draußen sehen lassen. Unser Vater hat es nach seinem nächtlichen Streifzug nicht mehr zu uns geschafft. Jäger müssen ihn auf der Flucht erschossen haben. Das war Mord! Entsetzlich, welch ein Trauerspiel! Unseren Vater und Ernährer – er fehlte an allen Ecken und Enden. Nun musste unsere Mutter ganz alleine drei Halbstarke zu lebenstüchtigen Füchsen erziehen. Es war nicht einfach, aber ich möchte behaupten, es ist ihr gelungen.
Meine beiden Brüder haben sich früh selbständig gemacht und ihr eigenes Streifgebiet gesucht. Ich habe sie nie wiedergesehen … hoffentlich sind sie noch am Leben… ach, ich mag nicht darüber nachdenken! Ich selbst wurde mit der Zeit ein erfolgreicher Ratten- und Mäusejäger. Ich wollte noch eine Zeitlang bei meiner Mutter bleiben, um sie zu unterstützen. Sie war nicht mehr die Jüngste. In Freiheit sind sechs oder sieben Fuchsjahre schon ein schönes Alter. Wir zählen zwar zu den Hunden - sind Wildhunde, aber unsere Lebenserwartung ist lange nicht so hoch wie bei Haushunden. Sie schwankt stark. Zehn Jahre sind eine absolute Ausnahme. Die hätte ich meiner Mutter so sehr gegönnt, doch es kam anders.
Meine beiden Brüder haben sich früh selbständig gemacht und ihr eigenes Streifgebiet gesucht. Bild: René Schleichardt
Den Tag, an dem ich meine tote Mutter in einer „Lebendfalle“ fand, werde ich nie vergessen. Allein der Gedanke daran macht mich fuchsteufelswild! Seitdem hat sich meine kleine Welt total verändert. Diese Falle, die eigentlich ein mit Zweigen und Blättern getarnter Drahtkasten war, hatte der Fallensteller genau auf dem schmalen Pfad aufgestellt, der zu unserem Bau führt. Warum meine erfahrene Mutter da reingeraten ist, ist mir heute noch ein Rätsel. Als die Fallentür zuschlug, hat sie sicher erkannt, dass sie gefangen war und muss völlig ausgerastet sein. Panik! Bei ihren Versuchen, sich zu befreien, hat sie sich schlimm verletzt. Ihr Gesicht war blutverschmiert. Auch die Ballen der Vorderpfoten waren aufgescheuert und voller Blut. Wahrscheinlich hat sie der Stress umgebracht. Herzversagen! Und ich stand da, zitternd, wütend, hilflos, weinend. Bis … ja, bis ich das bekannte Röhren des Jäger-Jeeps hörte, das immer näher kam. Da floh ich … Ich rannte, rannte, rannte um mein Leben. Erstmal völlig kopflos – doch zum Glück in die richtige die Richtung.
Vom Landleben hatte ich die Schnauze gestrichen voll! Nach einigen Umwegen ist es mir gelungen, die große Stadt zu erreichen. Und nachdem ich wieder zur Ruhe und Vernunft gekommen war, wurde ich Untermieter in einem sehr geräumigen Bau. Er gehörte einem netten, aber ziemlich grimmig aussehenden Dachs. Er nannte sich selbst „Meister Grimbart“ und sprach mich stur mit „Reineke“ an. Naja, das passte zu ihm. Normalerweise gingen wir uns aus dem Weg, grüßten nur freundlich, wenn wir uns mal begegneten. Von ihm habe ich wenig erfahren, was das wilde Leben im Großstadt-Dschungel ausmacht. Dafür umso mehr von meinen Artgenossen.
Erfreulich! Ich traf sie an fast jeder Ecke. Sie waren so hilfsbereit – von Konkurrenz keine Spur! Sie haben mir sehr schnell alles beigebracht, was ein Großstadt-Fuchs zum Überleben wissen muss. Ich war ja als Landei völlig ahnungslos … Sie machten mich zum sprichwörtlich schlauen Fuchs! Dafür bin ich ihnen heute noch dankbar. Nie hätte ich gedacht, dass sich in dieser Stadt an die 3000 Artgenossen tummeln. Es gibt eine ganze Reihe Gründe, weshalb sie gerne und gut in diesem großen, grünen Revier leben. Ein Grund ist sicher das tolle Nahrungsangebot. Es gibt massenhaft Ratten und Mäuse, Kaninchen, Vögel, weggeworfenes Essen, Komposthaufen, Abfallbehälter mit Essbarem, sogar sehr leckeres Katzenfutter in manchen Vorgärten. Zudem begegnet uns hier die Menschen viel weniger feindlich als auf dem Land. Und – das ist für alle Füchse ein ganz wichtiger Grund: hier sind wir vor Jägern sicher, selbst die Fallenjagd ist verboten!
Wo geht's hier bitte in die Stadt, vom Landleben habe ich die Schnauze voll. Bild: Timo Litters
Natürlich gibt es auch Gefahren in diesem fuchsigen Schlaraffenland: Da ist erstmal der wahnsinnig dichte Autoverkehr. Eine ernste Bedrohung, denn wir sind immer mal wieder gezwungen auch breite Straßen zu überqueren. Sehr traurig, dass öfter unerfahrene Artgenossen unter die Räder kommen. Dann gibt es auch üble Zweibeiner, die legen heimlich vergiftete Köder aus. Ich frage mich, wen sie töten wollen – Ratten, die sie hassen oder andere Tiere, die sie nicht mögen oder uns Füchse? Und dann gibt es noch freilaufende Hunde, die manchmal durchdrehen und uns verfolgen – sogar bis in unseren Bau. Manchmal bleibt einer darin stecken, dann ruft sein Mensch die Rettungskräfte, die ihn wieder ausbuddeln müssen. Nee, weißte! Wir sehen das gar nicht gern. Das bringt nur Unruhe ins Revier. Aber damit muss man leben.
Jetzt lebe ich schon ziemlich lange in der großen Stadt. Und ehrlich gesagt: ich lebe gerne hier. Ich bin zufrieden. Ich habe alles, was ich zu einem artgerechten Fuchsleben brauche. Und sogar noch ein bisschen mehr. Es kann nämlich sein, dass ich Meister Grimbarts Bau bald verlasse und meine eigene Wohnung beziehe!
Ich habe da jemanden kennengelernt …
Drückt mir die Daumen!
Oh, beinahe hätte ich's vergessen: bitte setzt euch für ein Verbot der Fuchsjagd ein, damit wir überall in Frieden leben können!
Euer Reinhardt Fuchs